Die Initiative „Volksentscheid Fahrrad” fordert zwei Meter breite Wege für Radfahrer auf den Hauptstraßen Berlins. Doch vielerorts steht heute nicht einmal ein halber Meter zur Verfügung. Nach Berechnungen des Radwege-Checks der Berliner Morgenpost sind nur etwas mehr als die Hälfte (55 Prozent) der Strecken des gesamten Berliner Hauptstraßennetzes mit sogenannten Radverkehrsanlagen ausgestattet: 1377 Kilometer Radwege (davon 945 Kilometer bauliche), 167 Kilometer Schutzstreifen und 91 Kilometer Radfahrstreifen. Dem stehen insgesamt 2974 Hauptstraßenkilometer in beiden Fahrtrichtungen gegenüber. Für Entlastung im Radverkehr sorgen 86 Kilometer Busspuren, die mitbenutzt werden können.
Die Fahrrad-Initiative möchte per Gesetz einen Lückenschluss durchsetzen. Dafür strebt sie einen Volksentscheid im Herbst 2017 an. Mitte Juni nahmen die Fahrradaktivisten die erste Hürde. Innnerhalb von dreieinhalb Wochen kamen 105.425 Unterschriften für den Antrag auf ein Volksbegehren zusammen - fünfmal so viele wie nötig. Der Senat hält die Ziele für überzogen. Zwar begrüße man grundsätzlich das Bürgerengagement, um die Bedingungen für den Radverkehr zu verbessern. „Verkehrsplanung per Gesetz ist aber der falsche Weg“, hatte Martin Pallgen, Sprecher der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, noch vor Start der Unterschriftensammlung gesagt.
Mitinitiator Heinrich Stößenreuther verteidigte auch die Forderung nach extrabreiten Radwegen und -spuren: „Radfahrern müssen etwa zwei Meter zugestanden werden.” Dies sei nicht nur im Vergleich zum Platz für Autos angemessen, sondern auch eine zukunftssichere Größe. Denn das Fahrradaufkommen steigt auf unterschiedlichste Weise: Vom Senior mit Pedelec, über die Mutter mit Fahrradanhänger bis hin zum sportlichen Pendler mit Rennrad. „Die einzelnen Radfahrer haben unterschiedliche Geschwindigkeiten, müssen deshalb überholen können - ungestört vom restlichen Verkehr”, sagte Stößenreuther.
Tatsächlich steigen immer mehr Berliner auf das Fahrrad um. Der Radverkehr nimmt jährlich um etwa fünf Prozent zu - auch trotz der Lücken im vorhandenen Wegenetz. Auf 338 Hauptstraßen gibt zurzeit überhaupt keinen Extra-Platz für Radfahrer, wie der Radwege-Check zeigt. Auf vielen dieser Straßen sorgen Nebenstraßen für Entlastung. So schneidet die Torstraße in Mitte mit nur elf Prozent Wegen für Radfahrer zwar besonders schlecht ab. Aber parallel zu ihr verläuft die Linienstraße - die erste Fahrradstraße in der Berliner Innenstadt. Mittlerweile gibt es berlinweit 17 solcher Straßen mit Vorfahrt für den Radverkehr.
Doch bequem auf ruhige Nebenstraßen ausweichen können die Berliner nicht gerade überall: In der Friedrichstraße zum Beispiel sind allenfalls im Bereich der Oranienburger Straße wenige Meter Strecke für Radler reserviert - und nahe Alternativrouten gibt es entlang der Straße bis zum Checkpoint Charlie kaum. Und auch dort, wo es Radwege gibt, sind sie oft in einem schlechten Zustand. „Wichtig ist nicht die bloße Kilometerzahl, sondern auch die Qualität und Sicherheit der Wege“, sagte Nikolas Linck, Sprecher des ADFC Berlin.
Dass in puncto Radverkehr Handlungsbedarf in Berlin besteht, daran zweifelt auch der Senat nicht. Er verweist auf die bestehende Radverkehrsstrategie des Landes. Danach will Berlin den Radverkehrsanteil bis 2025 bei allen zurückgelegten Wegen in der Stadt auf etwa ein Fünftel erhöhen. Die Radaktivisten und die Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus sehen erhebliche Mängel bei der Umsetzung. Laut Senat gibt Berlin zurzeit etwa fünf Euro pro Einwohner im Jahr für den Radverkehr aus. Das liegt deutlich unter den Mindestempfehlungen des „Nationalen Radverkehrsplans 2020“ von acht Euro. „Da ist noch Luft nach oben“, räumte Sprecher Pallgen ein.
Die Karte zeigt das Berliner Hauptverkehrsstraßennetz (Stand 24.08.2015) ohne Tunnel, Autobahnabschnitte sowie deren Zufahrten im Vergleich zu den dort vorhandenen Radverkehrsanlagen (Stand: 10.11.2015) plus Busspuren. Dabei werden Schutzstreifen und Radfahrstreifen (beide auf der Straße) zur Kategorie Radstreifen zusammengefasst. Als „Wege für Radfahrer” werden alle reinen Radverkehrsanlagen bezeichnet. Busspuren sind gesondert ausgewiesen - auf der Karte und in den Berechnungen.
Die Anwendung macht Lücken für Fahrradfahrer im gesamten Berliner Hauptstraßennetz sichtbar, sagt aber nichts über die Qualität der Wege und die Unfallgefahr auf den einzelnen Abschnitten aus. Die Fotos auf der Karte (nur Desktop) geben zumindest Hinweise auf den Zustand der Radverkehrsanlagen. Sie stammen aus dem Datensatz der Senatsverwaltung.
Die Angabe über den Anteil der Radverkehrsanlagen (z.B. „Oranienstraße: 53% Wege für Radfahrer”) stellt einen Richtwert für die jeweilige Straße dar. Sie berechnet sich aus der Länge vorhandener Radverkehrsanlagen (auf beiden Straßenseiten) im Verhältnis zur doppelten Straßenlänge. Bei dieser Berechnung kann es zu leichten Abweichungen kommen. So laufen auf einigen Straßenabschnitten Radwege und Radspuren parallel - oder können streckenweise vom Verlauf der Hauptstraße abweichen.
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Update: Die Initiative "Volksentscheid Fahrrad" bezieht sich mittlerweile auch auf das hier betrachtete Hauptstraßennetz – das sogenannte übergeordnete Straßennetz Berlins. In ihrem ursprünglichen Gesetzentwurf wurden nur Straßen I. oder II. Ordnung im Sinne von § 20 Berliner Straßengesetzes als Hauptstraßen definiert. Bundesstraßen, die durch Berlin führen, sind dabei nicht berücksichtigt. Dies hat die Initiative in einer überarbeiteten Version vom 12. Juli 2016 korrigiert.